Rassenvielfalt und Toleranz: es klingt fast politisch, was den Geist der Veranstaltung ausmacht. Unterhaltung, gehorsame Pferde, kollegiale Unterstützung – so ist die Stimmung und die historische Tradition der Working Equitation. Werte die auch unter Wettkampfbedingungen gezeigt werden.
Bereits im Juli fand auf der Pferdesportanlage Wintermühle in Hessen ein vielbeachtetes Turnier in den verschiedenen Disziplinen der traditionsreichen Arbeitsreitweisen statt. Bei dieser Gelegenheit konnten sich Veranstalter, Besucher und natürlich Teilnehmer einen Eindruck von den Rahmenbedingungen (auch für die im August hier stattfindende DM) machen. Trail und Rinderarbeit werden ebenso gezeigt wie Dressur und Speed–Trail. Die Veranstalter werden nach den gelungenen Vorstellungen und der guten Stimmung und Organisation sicher zum „Ernstfall Deutsche Meisterschaft“ vom 7.-9- August 2015 weitere neue Fans begrüßen dürfen.
Hier ein Rückblick auf die Vorpremiere:
Scherben bringen Glück
Working Equitation in Neu-Anspach
Im Speed-Trail für Einsteiger wird gleich vom ersten Starter ein Krug zu Boden geworfen. Der ordentlichen Reiterin fliegen sogleich alle Sympathien zu, da sie sich ohne Zögern an die Aufräumarbeiten macht. Der Tonkrug sollte eigentlich vom Sattel aus angehoben werden. Ja, solche Aufgaben kommen vor. Eine durchaus lebensnahe Übung, so mancher „echte“ berittene Worker wird seinen Durst vom Pferde aus stillen. Sozusagen im vorbeigehen, sorry, im vorbeireiten, während des Viehtriebes oder beim kurzen Plausch auf der Nachbarfarm.
Aber wir befinden uns nicht in der staubigen Pampa oder auf einer portugiesischen Hazienda sondern mitten im Parcours unter deutscher Sonne. Immerhin Sonne, also doch mehr Ähnlichkeit als gedacht. Das hier ist nicht Arbeit, es ist Sport. Für die meisten sogar Spiel. Sowohl Pferde, als auch Reiter, Publikum und Richter haben Spaß an dieser „Working Equitation“. Nicola Danner improvisiert spontan mit einem Bestandteil des Nachbarhindernisses, um den zerbrochenen Krug zu ersetzen. Sie und ihre Richterkollegen werden die kommenden drei Tage in brütender Hitze die Leistungen der Starter in den Prüfungen Stil–Trail, Speed–Trail, Dressur und Rinderarbeit bewerten.
Gelassene Tiere in der Prüfung und in der Warteschleife
Es fällt hier mehr als bei vielen anderen Turnieren auf, dass die Teilnehmerpferde absolut gelassen sind und das Geschehen auch in der Warteschleife vor dem eigenen Start geduldig beobachten.
Was vor 40 Jahren auf jedem Dorfturnier normal war, hier ist es noch immer selbstverständlich und hoffentlich auch weiterhin: die Tiere sind nicht abgeschottet. Berührungsängste zum Fußvolk gibt es nicht.
Das Pferd ist nicht nur Sportgerät, die Partnerschaft ist auch während und nach den Prüfungen spürbar, sichtbar und gelebt.
Viele Zuschauer wurden durch Präsentationen auf Messen auf diesen traditionsreichen Pferdesport aufmerksam und lassen sich auf den immer häufiger stattfindenden Wettbewerben bestens unterhalten. Pressevertreter, die sich in die Szene hinein fühlen, sind begeistert und freuen sich auf die anschließende Berichterstattung.
Präziser Parcouraufbau ist hier ebenso selbstverständlich wie im herkömmlichen Reitsport.
Im L–Hindernis sind die Seitenabstände exakt bemessen. Je nach Schwierigkeit (Einsteiger bis Masterklasse, also E bis S) werden die vorwärts und rückwärts zu rangierenden Zonen in L- oder U-Form immer schmaler. Stangen oder Rohre begrenzen die erlaubte Zone.
Diese Hindernisvariante ist vielen auch aus dem Western–Reitsport bekannt (vorwärts und rückwärts durch eine Gasse, ein L oder U richten).
Slalom -Rückwärts auf Zeit
Der Schwierigkeitsgrad eines Slalom–Parcours bedingt sich nicht nur durch den Abstand der zu umrundenden Stangen sondern gipfelt in der Anforderung das ganze rückwärts zu bewältigen!
Im Stil–Trail der Masterclass kann man – anders als im Springsport – manchen Fehler fast wiedergutmachen. Jean-Pierre Godest steigt ab und repariert das von ihm verschobene Hindernis. Solange sein Camarguepferd „Lugar du Claud“ nicht mit allen Vieren das Hindernis verlässt bleibt er in der Wertung. Es gibt lediglich Strafzeiten. Also wie im echten Worker–Leben: wer Mist baut wird nicht gleich gekündigt. Geschätzt wird selbstständiges Arbeiten und der Wille am Arbeitsplatz im Team das möglichst Beste zu leisten. Sind wir mal ehrlich: welches Springpferd würde seinen Reiter mitten im Parcours diszipliniert wieder ohne Hilfe aufsteigen lassen um dann auftragsgemäß weiterzupreschen…? Still stehen ist und bleibt einer der anspruchsvollsten Aufträge für Pferde.
Bei den hier gezeigten Prüfungen eine Übung, die jeder beherrscht.
Echtes Arbeitsleben – wer einmal Mist baut wird nicht sofort gekündigt
Wo auch bei der Working Equitation Schluss ist? Nun ja, wenn man den dritten Schritt vor dem zweiten macht. Die Reihenfolge der Aufgaben ist einzuhalten, sonst ist die Prüfung schnell zu Ende. Auch für prominente Teilnehmer. Als Stefan Schneider im Trail gleich zweimal vom rechten Weg abkommt nimmt er es mit Humor. Mitstarter und Publikum bedauern, dass diese bis dato präzise und harmonisch gerittenen Auftritte vorzeitig abgebrochen werden müssen.
Unterhaltsam, rasant und trotzdem schön anzusehen
Mitja Hinzpeter, Veranstalter und Mitglied der deutschen Working Equitation–Mannschaft, sorgt beim Start mit seinem Nachwuchspferd für eine Portion Extra–Unterhaltung. Den eingezäunten Zirkel um den für viele Pferde bedrohlichen Ententeich verlässt das Team über den Zaun statt durch den Eingang.
Ein Teilnehmer mit einem wirklich beeindruckend souveränen Camargue wurde disqualifiziert. Da er während des Rittes immer mal wieder eine zweite Hand am Zügel hatte, konnte sein Ritt nicht gewertet werden. Auch wenn die Zügelberührung der 2. Hand nicht zur Hilfengebung eingesetzt wird: die Masterclass wird konsequent einhändig bestritten.
Gernot Weber bestreitet den Speed Trail auf „Aramis“ in 3 Minuten 16 Sekunden. Wer so schnell reitet kann dem Publikum nach dem Ziel spontan eine doppelte Glücks–Pirouette gönnen.
Kein Wunder, dass dieser vielseitige Sport immer mehr Anhänger findet. Die Leistung der deutschen Starter ist europaweit zunehmend konkurrenzfähig. Die große Resonanz in allen Klassen beweist: Nachwuchssorgen gibt es nicht mehr. Und wie die internationale Richterin Nicola Danner anlässlich eines Wettkampfes sagte: „ Die Einsteiger von heute sind die Master Class von morgen.“
Totilas-Sohn „Tout le Monde“ zwischen Glocke und Slalom
Einen bemerkenswerten Einstieg haben bei den Anforderungen der Working Equitation nicht nur die jungen Reiter oder erwachsenen Umsteiger. Zunehmend erkennen Reiter aus dem „konventionellen“ Lager der Dressur die Chancen dieser Disziplin für die Basisausbildung ihrer Zöglinge.
Derzeit augenfälligstes Beispiel dürfte der 4jährige Totilas–Sohn „Tout le Monde“ sein, der den Händen von Stefan Schneider und seiner Frau Uta Graef anvertraut ist. Der (vermutlich) künftige Star am Dressurhimmel lernt hier Souveränität, Vertrauen und Gehorsam. Und seinem Ausbildungsbeauftragten macht es nichts aus, dass dieses hoffnungsvolle Edelross in den Prüfungen auf weltliche Konkurrenz in Form von Fjordpferd, Iberer, Shetty oder Barockpinto trifft. Eine gute Grundschule ist eine verlässliche Basis und auch für genetisch begünstigte nicht verzichtbar… In der Master–Class, auch bei der Rinderarbeit, startet der anerkannte Dressurausbilder mit weiteren Pferden – und vielleicht trifft man auch den schwarzen Einsteiger Toute le Monde in einigen Jahren nicht nur beim CHIO sondern auch unter „Arbeitern“ bei der Working Equitation?
Text und Fotos: Tanja Mundt-Kempen